Laudatio

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Familie Stabenow,

liebe Christine!

Die Ausstellung, deren Eröffnung wir heute feiern, trägt den Titel „einfach wesentlich“. Ich kenne Christine seit etwa einem Jahr. Und da gibt es eine Besonderheit: (Nicht nur, dass wir beide am 3. Januar Geburtstag haben....) Mitunter tagelang gar nicht und dann wieder mehrmals am Tag piept seither mein Handy und Christine schickt mit ihr Tag-Werk: einen Riss, den sie entdeckt hat in einer Häuserwand, Farbflecken an einem alten Container .... ein Blick in eine Pfütze, in der sich etwas spiegelt, ein Grashalm, eine Scherbe, ein Fenster..... ein Knarren (ja, auch Geräusche liebt sie .... keinen Lärm wohlbemerkt). ----- Ich habe diese Botschaften empfangen und oft gedacht: Chapeau! Diese Frau hat wahrhaft einen besonderen Blick. Was Christine in ihrem Alltag entdeckt, ist einfach. Und durch ihre Seh-Kraft, durch ihr Bewahren, ihr „Anslichtheben“ wird es wesentlich. Und das macht ihre Fotografiken aus meiner Sicht zu etwas sehr Besonderem. 

Durch Christines Wirken und in Vorbereitung auf mein Sprechen heute, ist mir noch einmal bewusst geworden, wie wesentlich das Einfache und wie einfach das Wesentliche ist. Und wie leichtfertig wir das vergessen – wie geradezu untertänig wir oft dem Unwesentlichen huldigen, das Komplexe anbeten, uns gegen das Einfache entscheiden, uns stattdessen (be)schweren mit Dingen, die zur Last werden, die wir dennoch nicht loslassen können – aus den unterschiedlichsten Gründen. Lebensängste.

C’est la vie! So ist das Leben eben, sagen wir dann.

Ist es so?

 Liebe Gäste, der Spirit, der Geist dieser Ausstellung wird Ihnen gut tun, da bin ich ganz sicher. Er wird Sie erinnern, Sie inspirieren, sanft korrigieren vielleicht. Kurzum: Er wird mit Ihnen sein und flüstern: Schau hin und sei offen für: einfach wesentlich.

 Doch bevor wir gemeinsam auf Entdeckungsreise gehen, möchte ich Ihnen etwas über Christine Koch erzählen, über ihren Weg, der sie führte => hin zum einfach Wesentlichen.

Christine Koch wurde 1949 in Dresden geboren. Sie studierte Grafik in Leipzig, Dresden und Berlin, unter anderem bei Werner Tübke und Prof. Werner Klemke, Fotografie bei Roger Melis. Ihre beiden Söhne bekam sie mit Anfang zwanzig im Abstand von zehn Monaten. In dieser Zeit war Christine Studentin.

Kurz darauf verstarb ihr Ehemann, der Vater der Kinder. Vielleicht war es damals das erste Mal, diesem Nichts zu begegnen.... mit dem Christine Koch lernen musste zu leben und das – so beschreibt sie es - sich in all den Lebensjahren immer tiefer wandeln wird – in Dankbarkeit.

 Improvisation und Lebenskunst werden ihre Hüter. Sie tut manch Artfremdes, um ihr Leben zu finanzieren, um schließlich das zu tun, was sie liebt: Gestalten und den eigenen Ideen nachgehen. Seit sie grafisch denkt und arbeitet, ist auch immer eine Fotokamera dabei. Sie fotografiert ihre Söhne, sich selbst. Ihr jüngerer Sohn, schon als Kind voller schöpferischem Selbstausdruck, widmet sich nach dem Abitur ausschließlich der Kunst, schreibt ein Theaterstück, malt, schafft Skulpturen, spielt Klavier. Fünfundzwanzigjährig nimmt er sich das Leben. Sein Bruder verlässt daraufhin, nur vier Wochen später Deutschland, und auch er ist ab sofort - fort.

 In ihren Texten schreibt Christine Koch dazu: „All das hat mich nicht zerbrochen.

Ich durchlebte es in ganzer Tiefe. In nächtlichen Aufzeichnungen aus dieser Zeit schreibe ich, dass ich solange ich denken kann, allein bin. Es waren trostlose dunkle Nächte... in denen ich unendlich verzweifelt war und niemand da, um mir Halt zu geben. Und dann folgt ein Satz, der zu ihrem Mantra geworden ist:

 LEBEN ist der einzige Aus-Weg.

 In persönlichen Gesprächen hat Christine mir erzählt, dass sie natürlich Raum und Zeit brauchte, um zu heilen, zu wachsen, zu erkennen. --- dass da eine innere Umwandlung stattgefunden hat von einem Leben in Mangel in ein Leben in Reichtum. Sie hat gelernt, auch mit Hilfe guter Lehrer, den Blick zu verändern. Nicht den Fokus auf den Mangel zu richten, auf das was fehlt, sondern auf die Fülle. Sie sagt heute: „Und erst als ich diesen inneren Reichtum wirklich gefühlt habe, konnte ich mich äußern und dabei frei sein.“

Christine Koch ist heute eine lustvolle Frau, immer in Bewegung, voller Neugierde und Schaffensfreude. Oft ist sie mit dem Fahrrad unterwegs, Richtung Hafen oder mit dem Dampfer Richtung Hiddensee, ihrer großen Inselliebe. Ein echter Fischkopp ist sie nicht, sie erinnern sich, 1949 in Dresden geboren.... Doch ein Leben am Wasser war immer ihre Sehnsucht. Sogar in ihren Träumen taucht das Meer auf. Und so beschließt sie mit 72 Jahren noch einmal einen großen Schritt zu tun -- sortiert radikal aus, erleichtert sich, verkauft etliche Sachen, lässt Vertrautes los, Freunde, ihre eigene Galerie und zieht ..... nach Stralsund. Alles neu, alles fremd.... die Menschen tragen Masken.... Wir sind im Jahr 2021.

 

Einfach war dieser Neustart sicher nicht, doch Christine Koch meistert auch dieses Abenteuer, aktiviert sich immer wieder und macht sich der vielen kleinen Wunder würdig, die ihr in ihrer neuen Heimat begegnen. Überhaupt Begegnungen – Christine Koch schätzt und liebt sie.

Das, was sie zeigt von sich und mit ihrer Ausstellung, möge eine Brücke zum anderen sein, wünscht sie sich. Sie hat für sich erkannt: Jedes Teilen bringt etwas Neues mit sich, eine Bereicherung und oft Ermutigung zugleich.

Wenn Sie, liebe Gäste, gleich in diese Ausstellung gehen, dann wird Ihnen vielleicht eines auffallen: Die Fotografikerin Christine Koch zoomt mutig rein ins Leben, seine Spuren, sein Vergängliches – in das, was sie magisch anzieht. Verblichene Schichten, Verwittertes, angerostete Zeugnisse, fast unsichtbar gewordene Rückstände längst vergangenen Ge-Schichten... Bemerkenswert ist: Dieses Vergängliche, was sie oft für uns in Szene setzt, löst weder Schmerz noch Wehmut aus, sondern setzt vielmehr eine große Freude frei. Eine Freiheit, Neues in all dem zu erkunden, die eigene Phantasie zu aktivieren, einfach nur zu staunen und jede dieser Lebens-Linien zu genießen. 

Und so schließt sich hier ein Kreis, denn Christine Koch’s Kunst ist heute Abbild ihrer eigenen Metamorphose, ihrer Transformation und wiederum eine wertvolle Gabe an uns, die Betrachter ihrer Arbeiten.

Und das, liebe Gäste, ist

„einfach wesentlich.“ 

Liebe Christine, ich gratuliere dir von Herzen zu deiner Ausstellung. 

Ina Schwarz

 

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